Bürgerräte sind bundesligareif
Mit dem Instrument des Bürgerrates lassen sich auch Fragen von bundespolitischer Bedeutung in einem diskursiven Format mit Bürgerinnen und Bürgern erörtern und Lösungsvorschläge erarbeiten. Das ist die Kernaussage einer Auswertung des Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“ durch die Bundestagsverwaltung.
Nachdem der Ältestenrat des Bundestages sich im Juni 2020 einen Bürgerrat zur deutschen Außenpolitik gewünscht hatte, hatte die Bundestagsverwaltung neben den unabhängigen Instituten IASS und IDPF beobachtend an den Online-Sitzungen der Versammlung der 152 zufällig gelosten Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen Republik teilgenommen. Dadurch sollte die Frage des Ältestenrates beantwortet werden, ob das Instrument Bürgerrat zur Unterstützung der parlamentarischen Arbeit in der repräsentativen Demokratie tauge und ob ein auf Bundesebene geeignetes Format entwickelt werden könne.
„Hohe Motivation“
Aus ihrer Beobachtung hat die Bundestagsverwaltung die Erkenntnis gewonnen, dass die Bürgerrat-Teilnehmenden „eine hohe Motivation und Bereitschaft entwickeln, sich auch in anspruchsvolle Fragestellungen einzuarbeiten und damit die eigene Analyse-und Entscheidungsfähigkeit einzubringen“. Den Abgeordneten stünden damit für die weiteren parlamentarischen Beratungen inhaltliche Empfehlungen zur Verfügung, die in einem sowohl konsens- als auch fachlich orientierten Diskurs zustande gekommen seien.
„Verfahrensbegleitend und im Nachgang bestand daher auch tatsächlich ein sehr hohes Interesse von Abgeordneten, aber auch einzelner Bundesministerien, an der Durchführung des Bürgerrates“, stellt die Bundestagsverwaltung fest. Dies lasse sich so deuten, dass das Instrument anschlussfähig und in der Lage sei, politische Resonanz zu erzeugen. „Die Besonderheiten im Verfahren der Erarbeitung von Empfehlungen unterscheiden die Ergebnisse eines Bürgerrates von denen klassischer Gesprächssituationen von Abgeordneten mit Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkreis oder im Rahmen anderer Diskussions- und Willensbildungsformate und ergänzen diese“, so die Verwaltung weiter.
„Breitere Legitimation politischer Entscheidungen“
Bürgerräte könnten auch einer breiteren Legitimation politischer Entscheidungen dienen, indem einzelne Positionen direkt mit Bürgerinnen und Bürgern rückgekoppelt werden könnten. Auf Seiten der Teilnehmenden sei die Überzeugung entstanden, dass das Parlament sich mit dem Angebot eines Bürgerrates einem über die klassischen parlamentarischen Verfahren hinausgehenden Diskurs mit der Gesellschaft öffne.
Die aktive Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern gewähre diesen vertiefte Einblicke in die Abläufe des politischen Betriebs und sei dadurch geeignet, Akzeptanz für die Funktions- und Arbeitsweise des Bundestages zu schaffen. Diese Akzeptanz bleibe nicht auf den engen Teilnehmendenkreis beschränkt, weil die Bürgerrat-Mitglieder etwa über die sozialen Medien als Multiplikatoren dienen könnten. „Zum anderen dürfte die Sacharbeit der Bürgerräte medial stärker in den Blick geraten, je weniger das Interesse an der neuartigen Form, also das Verfahren selbst,bei etwaigen Folgeprojekten im Fokus stünde“, erwartet die Bundestagsverwaltung.
Breite Zustimmung bei Teilnehmenden
Bei den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern sei das Instrument Bürgerrat insgesamt auf breite Zustimmung gestoßen. Zudem sei erkennbar gewesen, dass sich eine auf Teilnehmendenseite durchaus anfänglich vorhandene Skepsis im Laufe der Beratungen in großes Engagement verwandelt habe. Bemerkenswert findet die Verwaltung des Bundestages zudem „das von den Bürgerinnen und Bürgern zum Ausdruck gebrachte Selbstbewusstsein sowie deren - auch auf der Übergabeveranstaltung geäußerte - hohe Erwartungshaltung hinsichtlich des politischen Umgangs mit den erarbeiteten Empfehlungen“.
Für Bürgerräte geeignet erscheinen der Bundestagsverwaltung insbesondere „Themen, deren Fragestellung sich klar umgrenzen lässt. Das Gelingen produktiver Diskussions- und Willensbildungsprozesse wird erleichtert, wenn die Beteiligten aus ihrer Lebenswirklichkeit einen Bezug zu dem gewählten Thema herstellen können.“ Bei der Wahl des Themas solle zudem bereits die Frage der Umsetzbarkeit der Empfehlungen bedacht werden. Eine klar gefasste Themensetzung erleichtere auch die Moderation eines Bürgerrates.
Plädoyer für hybride Bürgerräte
Vieles spreche dafür, etwaige zukünftige Bürgerräte sowohl digital als auch mit analogen Komponenten, also als „hybride“ Veranstaltung durchzuführen. „Die klassische Deliberation, also der Austausch von Argumenten, die das Beteiligungsformat Bürgerrat kennzeichnet, könnte so durch kreative digitale Methoden, mit denen das jeweilige abstrakte Thema greifbarer gemacht werden kann, ergänzt werden“, regt die Verwaltung des Bundestages an.
Weitere Anregungen betreffen grundsätzliche Verfahrensfragen. Die Rolle sowie das Maß an Mitsprache der Fraktionen des Bundestages seien frühzeitig abzustimmen. Insbesondere sei zu entscheiden, wie die Fraktionen insgesamt nachhaltig in den Gestaltungsprozess mit eingebunden werden könnten, ohne den Planungs-, Entscheidungsfindungs- und Durchführungsprozess zu sehr zu überfrachten bzw. zeitlich herauszufordern.
Wer entscheidet was?
Es sei abzustimmen, wie und durch wen bzw. durch welche Gremien zentrale Entscheidungen, wie die Wahl des Themas, die Wahl der oder des Vorsitzenden, die Wahl der Durchführungsart sowie die Wahl etwaiger Durchführungsinstitute erfolgen würden.
Für die Mitglieder des Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“ sei von großer Bedeutung, wie mit dessen Ergebnissen und Empfehlungen im weiteren politischen Prozess umgegangen wird. „Dieser Aspekt dürfte bei zukünftigen Bürgerräten darüber hinaus für die Gewinnung von Teilnehmenden eine Rolle spielen. Daher erscheint es wünschenswert, dass die Fraktionen bereits im Zuge der Themenauswahl deutlich machen, wie die Empfehlungen in die parlamentarischen Beratungen einfließen werden“, empfiehlt der Bericht der Bundestagsverwaltung.
Mehr Informationen: Bericht der Bundestagsverwaltung zum Modellprojekt Bürgerrat